Weniger Leistung durch mehr Anstrengung

Wenn man nicht gerade mit dem Zug nach Mainz muss, könnte man der Deutschen Bahn eigentlich dankbar sein für das Lehrstück, das sie uns in diesem Sommer beschert: So schlank ist man geworden, dass man nun die angebotene Dienstleistung nicht nur nicht gut sondern gar nicht mehr erbringen kann.

Die „Lösungsidee“, ausgepumpte Stellwerksmitarbeiter nun aus dem Urlaub zu holen, hinterlässt ein mulmiges Gefühl: Wer möchte sein Leben eigentlich Mitarbeitern anvertrauen, deren Konzentration mit hoher Wahrscheinlichkeit erschöpft ist… Und es braucht nicht viel Phantasie sich vorzustellen, dass es an anderen Knotenpunkten des Bahnnetzes nicht viel besser aussieht.

Anhand des Vorfalls kommt nun eine Diskussion über die Relevanz von Erholung, Entspannung, ja Müßiggang (!) auf. Im Gegenzug stellt sich die Frage nach den Kosten der „Schlankheit“ von Organisationen für Mitarbeiter, Kunden und Stakeholdern. Und es stellt sich die Frage nach einer Ideologie, die so tut, als könne jeder während seiner gesamten Arbeitszeit „Höchstleistung“ bringen. Wie wird das eigentlich beobachtet? Ich erinnere mich an eine Szene aus der Anfangsphase meines Berufslebens: Ein Kollege, der wegen seiner Fachkompetenz und seiner Kreativität hoch geschätzt war, wurde von einer Führungskraft darauf angesprochen, dass er doch auffällig oft weg sei von seinem Schreibtisch. Daraufhin der Kollege völlig ungerührt: „Ich werde doch hier wohl nicht für Arschpräsenz bezahlt!?“

Kreativität und Motivation sind ohne das Nichtstun nicht zu haben

Mittlerweile häufen sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Themenbereichen Kreativität, Motivation und Arbeitsqualität, die alle deutlich in eine Richtung weisen: Ruhe, Gelassenheit, Müßiggang, scheinbare Ziellosigkeit sind nicht nur Erholungspausen, sie sind die unverzichtbare Grundlage für neue Ideen, kreative Lösungen, motiviertes Tätigsein. Der Amerikaner Andrew Smart, der seinen Beruf als Sixsigma-Berater an den Nagel gehängt hat, hat gerade ein Buch dazu veröffentlicht: „Autopilot“ zeigt, wie gerade „idleness“ unserem Gehirn erst die Möglichkeit gibt, wirklich Nennenswertes zu leisten.

Entsprechend lässt sich bei allen Tätigkeiten, die kreatives Denken voraussetzen, Motivation und Leistung nicht durch bessere Bezahlung und andere materielle Incentives steigern. Die Royal Society hat den Forschungsstand dazu in einem bemerkenswerten Video zusammengefasst.

Kontrolle erzeugt operative Hektik, aber keine Leistung

Wer solche Einsichten ernst nimmt, müsste als Verantwortlicher eigentlich sofort organisationstheoretische Konsequenzen ziehen. D.h. selbstverständlich nicht sofort, sondern erst nach einer gehörigen Auszeit und Denkpause! Für die meisten Vorgesetzten und Unternehmer allerdings ist die Vorstellung schwer zu verkraften, nach der „invisible hand“ des Marktes jetzt auch noch die „invisibility“ auszuhalten, die sich auftäte, wenn man die Menschen und ihre Gehirne in Ruhe arbeiten ließe! Wer zahlt, will sehen, was er dafür bekommt. Und weil das alle Wissen, verfallen Mitarbeiter und Führungskräfte dann, wenn sie glauben beobachtet zu werden, in operative Hektik, die suggerieren soll, dass sie was tun für ihr Geld. Dabei wäre manche Organisation und auch ihre Kunden besser dran, wenn man genau die Operationen unterlassen hätte, die dabei entstehen und statt dessen intelligente Lösungen gefunden hätte: Ganz gleich ob im Büro oder bei einem Spaziergang. „Wenn alle weg sind, wenn die blöden Meetings endlich aufgehört haben, wenn das ganze Getue nicht mehr stört, dann komme ich endlich dazu, in Ruhe zu arbeiten. Deshalb bleibe ich dann oft bis neun oder zehn. Und wenn ich die Überstunden abfeiere, dann kommen mir oft die besten Ideen“ – solche Aussagen sind uns in Storytelling-Interviews zuhauf begegnet und sie belegen eine altbekannte Wahrheit, der nun auch die Neurowissenschaften auf die Spur gekommen sind.

Eine neue Ära kündigt sich an

Vielleicht nähern wir uns langsam aber sicher einem Wendepunkt in der Organisation der Arbeit: Wenn alle Rationalisierungsbemühungen auf die Spitze getrieben sind, wird sich vielleicht auch den hartnäckigsten Leistungsillusionisten zeigen, dass der Satz „Weniger ist Mehr“ inhaltlich ganz anders aufgefüllt werden muss. Angesichts der bisherigen Entwicklungen in den Organisationen braucht man sich jedenfalls keine Sorgen darum zu machen, dass uns die Produktivitätsreserven ausgehen könnten: Voraussetzung für ihre Erschließung ist allerdings ein radikaler Wandel im Menschenbild. Die Argumentationen des dm-Gründers Götz Werner zum bedingungslosen Grundeinkommen gehen übrigens genau in diese Richtung: Die Menschen dafür zu bezahlen, dass sie arbeiten können und nicht umgekehrt, kann nach dem heutigen Stand der Forschung nicht mehr einfach als die Idee eines idealistischen Humanisten abgetan werden.

Eine Antwort auf „Weniger Leistung durch mehr Anstrengung“

  1. Danke für diese Gedanken, auch und gerade weil sie – zumindest als Ingredienz – zu den Selbstverständlichkeiten moderner Unternehmensführung gehören sollten. Eine Parallele auf noch grundlegenderer, physiologischer Ebene drängt sich mir auf: der Traum des Menschens während seines Schlafes. Auch wenn viele sich nicht daran erinnern können (oder wollen): es gibt keinen Schlaf ohne Traum … und selbst auf kurze Dauer keine Leistung ohne Schlaf.

    Keep on thinking for others,

    R.

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